Bildung im Mittelalter
Der Bildungsbegriff des Mittelalters unterscheidet sich wesentlich von unserem heutigen Verständnis von Bildung. Der durch die Neohumanisten wie Herder und Wilhelm von Humboldt Ende des 18. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelte Bildungsbegriff wurde einerseits erweitert durch die Freiheitsidee der Aufklärung, andererseits aber auch verengt auf eine von Lese- und Schreibfähigkeit beherrschte Kultur. Das Fehlen dieser Fähigkeiten war im Mittelalter jedoch kein Synonym für Unbildung. Analphabetentum und Bildung schlossen sich nicht automatisch aus.
Erziehung als wesentlicher Aspekt der Bildung
Während der Völkerwanderungszeit begegneten sich zwei auf völlig unterschiedlichen Ebenen stehende Kulturen, die trotz eines stetigen Verschmelzungsprozesses lange Zeit eigenständig fortwirkten. Bis in das Hochmittelalter hinein kultivierte das Germanentum eine schriftlose Bildung. Einer der Hauptaspekte dieser Bildung war die Erziehung, deren sittliche Normen sakral verankert waren. Die Erziehung zur Treue gehörte etwa als allgemeines Bildungsideal zur wesentlichen Grundlage des Selbstverständnisses der mittelalterlichen Gesellschaft. Dieser Auffassung von Bildung stand die römische Welt gegenüber, die den alten mediterranen Bildungsbegriff aufgenommen hatte. Das neu entstandene Christentum kam so in Berührung mit der orientalischen, jüdischen und griechischen Schriftkultur. Gleichzeitig war Lese- und Schreibfähigkeit eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen dafür, dass sich das Christentum als Offenbarungsreligion durchsetzte, denn es setzte Buchwissen voraus und benötigte es zur Verkündung der Lehre.
Bildung in der Zeit zwischen Spätantike und Frühmittelalter
In spätrömischer Zeit bestand ein zusammenhängendes System von Grammatik- und Rhetorikschulen, die im städtischen Bereich angesiedelt, von Laien getragen und mit bezahlten Lehrkräften ausgestattet waren. Anfangs hatte die Kirche kein Interesse an der Einrichtung eigener Schulen. Entgegen der Kritik an der klassischen Bildung, die vor allem aus dem Mönchstum kam, hatten frühe Kirchenführer und Vordenker wie Augustinus nichts an ihr auszusetzen. Sie sahen die artes liberales der Antike und ihre Tugenden wie Besonnenheit, Maßhalten, Selbstbeherrschung als gute Voraussetzung für ein späteres Bibelstudium.
Artes liberales
Die antiken Sophisten prägten den Begriff der Septem Artes liberales. Diesem ordneten sie jedoch nicht nach seiner eigentlichen Bedeutung die Kunst zu, sondern vielmehr die Technik, die Fähigkeit oder die Wissenschaft. Mit dem Zusatz „liberales“ war bestimmt, dass nur ein freier Mann, der sogenannte homo liber, sich dieser Beschäftigung widmen durfte. Die Septem Artes bestanden aus der unteren Stufe des Trivium genannten Bereichs zu dem Grammatik, Rhetorik und Logik gehörten. Zur oberen Stufe zählten Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik, die unter der Bezeichnung Quadrivium gefasst wurden. Die Artes liberales waren über weite Perioden des Mittelalters vermittelte Lehrinhalte und bestimmten den Gang der höheren Bildung.
Artes probitates
Der Adel genoss nicht die schulische Ausbildung des Klerus. Bildung und Erziehung unterlagen keinem festen Lehrplan, sondern beinhalteten die Übung überlieferter Gewohnheiten. Analog zu den Artes liberales wurde die Erziehung mittels der artes probitates geregelt. Zu diesen zählten Fechten, Jagen, Reiten, Schwimmen, Schachspiel, Bogenschießen und Verseschmieden. Auch die Kenntnis von Liedern, das Saitenspiel und das Lernen von Spruchweisheiten waren Bestandteile dieser Ausbildung.
Bildung im Frühmittelalter
Der Verfall der politischen und sozialen Strukturen und die Umformungen in den Führungsschichten, die in erster Linie vom antiken Schulsystem profitiert hatten, bewirkten die Auflösung dieses Systems. Die letzten städtischen Schulen sind bis Ende des 6. Jahrhunderts nachweisbar wie etwa in Italien und Spanien. Berufsschreiber, Urkundenwesen und Buchhandel erlebten in dieser Zeit ebenfalls einen beispiellosen Niedergang, sodass insbesondere das 7. Jahrhundert insgesamt als bildungsferne, dunkle Zeit begriffen werden kann. Die Verdrängung der Schrift durch das gesprochene Wort erfolgte nicht überall gleich und unterlag geografischen Abstufungen. Die Führungsschicht der Aristokratie verfügte noch über die sogenannten Praezeptoren, die privaten Hauslehrer.
Übernahme von Bildung und Erziehung durch die Kirche
Ab dem frühen 6. Jahrhundert gründete die Kirche Schulen in den Klöstern, die mit der Aufnahme von Novizen auch für deren Ausbildung sorgen mussten. Der Unterricht bestand hauptsächlich aus Grammatik und Rechnen. Die mathematische Bildung beinhaltete vor allem die Komputistik, mit der das allgemeine Rechnen mit Zeit gemeint war. Dieses Unterrichtsfach sollte die Schüler unter anderem befähigen, den mittelalterlichen Kalender und variable kirchliche Feiertage wie etwa Ostern zu berechnen. Die ebenfalls erteilte musikalische Ausbildung hatte im Wesentlichen die Einübung von liturgischen Gesängen zum Ziel. Diese Schulen konnten sowohl von Laien als auch von Klerikern besucht werden, zumeist erhielten die Söhne der Laienaristokratie ihre Ausbildung jedoch durch Hauslehrer. Bereits nach kurzer Zeit stellten fast ausschließlich Kleriker die Schülerschaft. Der überwiegende Teil der Bevölkerung war des Lesens und Schreibens nicht mächtig, was über alle Standesgrenzen hinweg Gültigkeit hatte. Die ständische Gesellschaft des Mittelalters war nicht über Bildung strukturiert, sondern über Herrschaft. Es entstand ein Nebeneinander von volkssprachlich schriftloser, auf Gewohnheitsrecht basierender Bildung und Erziehung einerseits, andererseits herrschte der Klerus über die fast völlig monopolisierte Schriftwelt der Schule, der Literatur, der Herrschaftskanzlei und der Liturgie.
Bildung der Kleriker
Eine nicht lesekundige Person konnte gemäß Kirchenrecht kein Priester werden. Das bezog sich in erster Linie auf Lesefähigkeit und Gesangskunst, nicht auf die Fähigkeit des Schreibens. Im Zuge der Kirchenreform wurden die Bildungsvorschriften verschärft. Ein Kind wurde einem Kloster im Alter von sieben Jahren übergeben und begann direkt mit der Ausbildung zum Kleriker. Das bessere Bildungsniveau betraf aber nur die höheren Weihen, beim niederen Klerus war der Bildungsstand eher unbefriedigend.
Karolingische Bildungsreform
Im 8. Jahrhundert fand im Karolingerreich ausgehend von Irland und England eine Bildungsreform mit Rückbesinnung auf die Antike statt. Insbesondere Karl der Große förderte diese Reform, regte die Gründung der ersten Bibliotheken und die Vereinheitlichung der Schrift an. Zuvor schrieb jeder, der des Schreibens mächtig war, in seiner eigenen Interpretation der Schriftzeichen so, dass ein anderer des Schreibens und Lesens Kundiger sie unter Umständen gar nicht lesen konnte. Resultat dieser Schriftreform war ein besseres Verständnis der lateinischen Schrift. Die lateinische Sprache wurde nun zur von der Alltagssprache abgegrenzten Gelehrtensprache. Auch die nachfolgenden bedeutenden Karolinger des 9. Jahrhunderts unterstützten die Bildungsreform. In dieser Zeit setzte eine Hochphase mittelalterlicher Bildung ein, die gesamtgesellschaftlich gesehen zu einem deutlich höheren Bildungsniveau führte.
Gründung von Kathedralschulen
In der Folgezeit der Karolinger kam es zu zahlreichen Klosterneugründungen. Der dadurch bedingte zahlenmäßige Anstieg der Schulen ließ die Klöster zu Trägern der Kultur werden. Auf Anweisung der Kirchenoberen wurden die Kathedralschulen – auch Domschulen genannt – gegründet, die sowohl Klerikern als Laien offen stehen sollten. In diesen beschränkte sich die Lehre allerdings auf Bibelkunde und Grammatik. Diese Schulen standen in der Praxis fast ausschließlich den Kindern der Oberschicht offen, ein Bildungsaufstieg war Kindern aus der Unterschicht nur über Kloster und Mönchsgelübde – später durch die Priesterweihe – möglich.
Bildung im Hochmittelalter
Ab dem 10. Jahrhundert gründeten sich Klosterschulen, die ihre Schüler in Interne und Externe einteilten. Diese Einteilung beruhte auf der Mitgliedschaft der Schüler zum Kloster und bestimmte in der Folgezeit das Schulwesen. In den eigenen Schreibstuben produzierten die Klöster Bücher für den Unterricht. Die Lehrinhalte waren zwar noch immer von der karolingischen Zeit geprägt, doch zeigte sich auch Interesse an der Logik und an allem, was zum Quadrivium gehörte. Der Unterricht wurde so gestaltet, dass der Lehrer selten vor einer ganzen Klasse stand, sondern einzelne Schüler individuell unterrichtete.
Gründung privater Schulen
Ende des 11. Jh. begann eine neue Entwicklung, in deren Verlauf die Klosterschulen zwar nicht völlig verschwanden, jedoch an Bedeutung verloren. Die neu gegründeten Orden wie etwa die Kartäuser oder Zisterzienser nahmen nur erwachsene Mitglieder auf und verzichteten auf den Unterhalt von Schulen. Entscheidend für die Bildung wurden die im städtischen Bereich angesiedelten Schulen wie Kathedralschulen, einhergehend mit der Verpflichtung der Bischöfe, Schulen zu unterhalten. Die wichtigste Neuerung war das Aufkommen und die Zunahme privater Schulen, die von Magistern auf eigene Rechnung und auf Basis von Schülerhonoraren betrieben wurden. Lehrinhalte waren zumeist Grammatik und Logik.
Bildung im Spätmittelalter
Das Anwachsen des Schulbetriebs im 12. Jahrhundert führte im 13. Jahrhundert zur Umwandlung einiger Schulen in Universitäten. Deren Aufkommen brachte die nichtuniversitären Schulen im Spätmittelalter zwar nicht zum Verschwinden, ihr Ansehen sank aber, da sie sich vorwiegend auf den lokalen Zustrom von Schülern beschränkten. Es entwickelten sich nun vielfältigere Schultypen. Die Lehrinhalte orientierten sich vielfach an denen der Universitäten. Insgesamt war das Spätmittelalter durch einen Anstieg des Bildungsgrades innerhalb der Bevölkerung gekennzeichnet und die Rate der Analphabeten ging deutlich zurück.
Bildung und Erziehung von Mädchen
Bildung von Mädchen stellte während der gesamten Epoche des Mittelalters eine Ausnahme dar. Mädchenschulen waren äußerst selten, lehrende Frauen gab es in kaum nennenswerter Ausprägung. Mädchen, die eine Ausbildung in Kloster- oder Stiftsschulen erhielten, waren Töchter von Adligen oder angehende Nonnen. Angehörige des weiblichen Geschlechts, die als gelehrt galten, waren weniger schreibende, sondern eher lesende Frauen.
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Der Tauschhandel Ware gegen Ware blieb als akzeptierte Form der Zahlung während der gesamten Epoche des Mittelalters erhalten. Aufgrund des expandierenden Handels wurden jedoch Innovationen im Zahlungsverkehr notwendig. |
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