Die Araber im frühmittelalterlichen Europa
Die Reichsgründungen und Wanderungen der Araber waren denen der Germanen nicht unähnlich. Schon lange bevor der Prophet Mohammed die Bühne der Geschichte betrat, unternahmen die Bewohner der Arabischen Halbinsel Plünderungszüge in angrenzenden Ländern. Der Islam lenkte die Ausdehnungsbestrebungen jedoch in eine andere Richtung. So lag das Erbeuten von Schätzen zwar nach wie vor im Fokus, daneben spielte jedoch auch die Eroberung und Besetzung ferner Länder eine Rolle, deren Bewohner missioniert werden sollten.
Der Prophet Mohammed
Mohammed (um 571 bis 632) entstammte einer reichen Kaufmannsfamilie aus Mekka, in deren Obhut sich das arabische Nationalheiligtum befand. Aufgrund seiner Visionen fühlte er sich zum Propheten und Reformator berufen. Die Feinde Mohammeds bedrohten jedoch sein Leben und so floh er im Jahre 622 nach Medina. Die Flucht bildete nicht nur den Anfang einer neuen Weltreligion, sondern auch den Beginn der mohammedanischen Zeitrechnung. Seine Lehre wurde nach seinem Tod im Koran schriftlich fixiert.
Der Islam
Für die Araber bedeutete der monotheistische Islam die völlige Unterwerfung unter den Willen Allahs, der sich in der Lehre Mohammeds spiegeln sollte. Den Gläubigen versprach diese Religion im Gegenzug ungeahnte sinnliche Freuden im Paradies. Vor allem derjenige sollte besonders großzügig belohnt werden, der bereit war, für seinen Glauben und für die Verbreitung der Religion zu sterben. Diese Aussicht verlieh den Arabern ihren Todesmut und Fatalismus im Kampf.
Siegeszug der Araber
In einem fulminanten Siegeszug eroberten die Araber nicht nur das Reich der persischen Sassaniden, sondern auch alle Länder am Ost- und Südrand des Mittelmeers, die zuvor unter der Herrschaft des Oströmischen Reichs gestanden hatten. Im Jahre 638 fiel Jerusalem an die Araber und im Jahre 698 Karthago. Anschließend siegten sie in Turkestan und in Nordwestindien. Die Araber unterwarfen die Völker und gliederten sie in die islamische Weltordnung ein. Der Grund für die raschen Siege der Araber über so bedeutende Reiche wie Persien und Ostrom lag vor allem in ihrer inneren Geschlossenheit und ihrer im islamischen Glauben begründeten Bereitschaft, sich selbst zu opfern.
Ausdehnung nach Europa
Nach der Eroberung des Maghreb (Tunesien, Marokko, Algerien, Mauretanien und Libyen) erfolgte im Jahre 710 die erste muslimische Landung in Spanien. Anfangs überfielen die Araber lediglich die Küstenregion. Da sie stets mit reicher Beute zurückkehrten, dehnten sie ihre Überfälle aus. Sie bildeten eine hauptsächlich aus Berbertruppen bestehende Invasionsarmee unter dem Oberbefehl des Statthalters von Tanger, Tarik Ibn Ziyad, und setzten nach Gibraltar über. Im Jahre 711 besiegten sie die Westgoten und nahmen ihr Reich ein. Im Jahre 719 besetzten sie die ganze spanische Halbinsel. Lediglich die unzugängliche Berglandschaft von Asturien blieb unangetastet.
Vordringen der Araber über die Pyrenäen
Im Jahre 725 überquerten die arabischen Verbände die Pyrenäen und eroberten die vormals westgotischen Gebiete Septimaniens, die heutige südwestfranzösische Region Languedoc-Roussillion. In der Schlacht von Tours und Poitiers im Jahre 732 gelang es, dem Vordringen der Araber Einhalt zu gebieten. Unter der Führung des karolingischen Hausmeiers Karl Martell siegte ein fränkisches Heer, das durch friesische, sächsische und langobardische Truppen verstärkt wurde.
Spanisches Festland in arabischer Hand
In Spanien konnten sich die Araber dagegen behaupten. Es wurde das vom Arabischen Reich unabhängige Kalifat al-Andalus gegründet, das von 756 bis 1014 Bestand haben sollte. Des Weiteren entstanden mehrere kleinere Reiche, deren Vertreter bis 1090 auf der Iberischen Halbinsel herrschten. Auf diese folgten die Kalifate der Almoraviden (bis 1147), der Almohaden (bis 1232) und der Nasriden von Granada (bis 1492). Nicht nur die Eroberer selbst siedelten sich in Spanien an, sondern auch zahlreiche Kaufleute und Händler, Kunsthandwerker, Mediziner und Wissenschaftler.
Die soziale und politische Ordnung
Bei der Eroberung nutzten die Araber die vorhandenen Strukturen der relativ homogenen christlichen Bevölkerung. Sie errichteten jedoch eine völlig neue soziale und politische Ordnung, die auf dem Islam basierte. Das islamische Spanien unterschied gemäß der Praxis und den Gesetzen des Islam nie zwischen weltlichen und geistlichen Belangen. Die Lebensbedingungen der Eroberten wurden durch Abkommen mit den Usurpatoren festgelegt und waren im Großen und Ganzen äußerst günstig für die Eroberten geregelt. Die Ausübung der Religion wurde nicht behindert und die Untertanen durften ihre Gesetze sowie ihre Richter behalten. Von ihrem Grundbesitz mussten sie lediglich einen kleinen Teil an die Eroberer abtreten.
Zentren religiöser und intellektueller Freiheit
Im Gegenzug waren die Christen zur Loyalität verpflichtet und hatten jährlich ihre Steuern zu zahlen. Diese wurden erheblich höher angesetzt als bei der islamischen Bevölkerung. Auch aus diesem Grunde traten – neben den gesellschaftlichen Vorteilen – viele der Eroberten zum Islam über. Unter der Herrschaft der Araber entwickelten sich in al-Andalus Zentren religiöser Toleranz und intellektueller Freiheit wie zum Beispiel Cordoba oder Granada. Während im christlichen Europa religiöse Intoleranz sowie Kreuzzugsstimmung vorherrschten und Analphabetismus die Regel war, wurde al-Andalus zeitweise zu einer Hochburg des arabischen und jüdischen Geisteslebens. Die andalusische Region zeigte sich als Schmelztiegel mehrerer Kulturen, in dem Handel und Wirtschaft blühten.
Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft
Für die Landwirtschaft bedeuteten die arabischen Kenntnisse umwälzende Fortschritte. So führten die Araber nicht nur Bewässerungssysteme ein, sondern importierten außerdem bislang auf dem europäischen Festland unbekannte Pflanzen wie beispielsweise Baumwolle, Zuckerrohr, Orangen, Datteln und Brombeeren aus ihrer Heimat. Die jahrhundertealte arabische Tradition des Kunsthandwerks brachten die Araber ebenfalls nach Europa. Zu nennen sind hier vor allem die Weberei (Stoffe aus Damast) und Seidenweberei sowie die Schmiedetechniken (Damaszenerklingen). Des Weiteren waren die Araber äußerst geschickt in der Herstellung von Gold-, Silber- und Bronzeschmuck und in der Fertigung von Geschirr aus Keramik. Auch hinsichtlich der Architektur prägten die Araber die Bauweise. So ist etwa die Gotik ohne arabische Vorbilder kaum denkbar. Darüber hinaus waren die Araber in Naturwissenschaften, Medizin, Astronomie und Mathematik führend.
Die Reconquista
Die Reconquista – die Rückeroberung der Iberischen Halbinsel – begann ausgehend von den christlichen Rückzugsgebieten, den Gebirgen Asturiens. Sie erreichte ihre eigentliche Dynamik erst im 11. Jahrhundert unter den Königen Sanchez II. von Navarra, Ferdinand I. und Alfons VI. von Kastilien und Leon. Seit der Förderung des Unterfangens durch Papst Alexander II. (1061 bis 1073) und durch die Unterstützung vieler europäischer Völker erfolgte die Reconquista in drei Stoßrichtungen: entlang der Atlantikküste durch portugiesische Grafen, die 1139 zu Königen erhoben wurden, im Zentrum durch die kastilischen Könige und an der Mittelmeerküste vor allem durch das Königreich Aragonien. Im 14. und 15. Jahrhundert stagnierte die Reconquista. Abgeschlossen wurde sie 1492 mit der Eroberung des andalusischen Granada durch Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragonien. Mit dem Ende der Reconquista wurde die noch im Lande lebende arabische und jüdische Bevölkerung gezwungen, entweder zum Christentum zu konvertieren oder Spanien zu verlassen. Damit erlosch das arabische und jüdische Geistesleben im Land.
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