Das Leben in einer mittelalterlichen Stadt
Die Stadt unterschied sich von ihrem Umland optisch vor allem dadurch, dass sie zumeist von Befestigungsmauern, Wällen oder Wassergräben umgeben war, die ihre Feinde daran hindern sollten, sie anzugreifen. Für ihre Bewohner hatte die Stadt in Bezug auf das Bedürfnis nach Sicherheit von Leib und Leben deshalb den gleichen Stellenwert wie die mittelalterliche Burg. Aus dieser Analogie bildete sich der Begriff „Bürger“, der ursprünglich nichts anderes bezeichnete als den Bewohner einer Burg. Die Bürgerschaft setzte sich aus freien Bürgern zusammen, die nicht dem Adel angehörten, wodurch sich eine gewisse soziale Homogenität entwickelte. Diese verlief allerdings innerhalb enger Grenzen, da sie von unterschiedlichen Besitzständen geprägt war. Der Besitz war jedoch an die persönliche Leistung gekoppelt und nicht allein durch den unbeeinflussbaren Faktor der Geburt in einem hohen Stand determiniert, sodass der Bürger seinen Status zum Teil selbst erarbeiten konnte. Natürlich bildeten sich auch in der mittelalterlichen Stadt Hierarchien aus, allerdings waren diese weitaus durchlässiger für soziale Auf- und Abstiege als innerhalb der feudalen Adelsgesellschaft.
Soziale Schichtung
Obwohl das Leben in der Stadt weniger hierarchisch geprägt war als auf dem Lande, wie es sich dort beispielsweise im Verhältnis des Grundherrn zum Bauern zeigte, existierte auch in der Stadt eine soziale Schichtung. So gab es etwa Berufe, die aufgrund ihrer Tätigkeitsmerkmale weniger Ansehen genossen als andere. Dazu zählten alle Berufe, deren Ausübung große körperliche Anstrengung gepaart mit hoher Schmutzentwicklung bedeutete. Zu diesen Berufsgruppen gehörten beispielsweise die Abdecker oder Köhler. Das höchste Prestige wurde den Kaufleuten zugewiesen, denn mit dem Handel von Produkten konnten die höchsten Gewinne erzielt werden, sodass sie häufig über recht beträchtliche Vermögen verfügten. Handwerker verschiedener Gewerbe waren ebenfalls angesehene Bürger. Sie organisierten sich zumeist in Zünften und konnten – wenn sie Angestellte beschäftigten – ebenfalls zu einigem Wohlstand kommen. Daneben gab es jedoch auch die einfachen Angestellten und Arbeiter, deren Sicherung des Lebensunterhalts sich deutlich beschwerlicher gestaltete. Dazu zählten die vielen Tagelöhner, die ihre Arbeitskraft unter dem Gesetz von Angebot und Nachfrage anboten. Ihre Arbeitsbedingungen führten sie oft in existenzielle Krisen. So fehlte dieser Gruppe manchmal selbst das Geld für die nächste Mahlzeit. Noch unterhalb der Tagelöhner waren die Menschen angesiedelt, die die Soziologie als unterständische Figurationen bezeichnet. Sie waren sozialer Ächtung ausgesetzt. Dazu gehörten die Angehörigen der nicht ehrbaren Berufe wie zum Beispiel die Henker und Prostituierten. Auch die vielen Bettler erfuhren keine Wertschätzung, ebenso wie die Mitglieder nicht-christlicher Religionsgemeinschaften wie etwa Menschen jüdischen Glaubens.
Organisation in Gilden und Zünften
Die berufsständischen Organisationen, in denen die Kaufleute und Handwerker sich organisierten, waren die Gilden und Zünfte. Innerhalb dieser Vereinigungen herrschten eigene Regeln, die für die Mitglieder bindend waren. Verstöße gegen Zunftregeln wurden mit Bußgeldzahlungen oder aber im ungünstigsten Fall mit dem Ausschluss des Mitglieds aus der jeweiligen Zunft geahndet. Da dies den wirtschaftlichen Ruin bedeuten konnte, bedurfte die Einhaltung des Verhaltenskodex kaum weiteren äußeren Drucks, sodass Verstöße relativ selten zu verzeichnen waren. Insbesondere die verschiedenen Betriebe, die den Zünften angehörten, prägten das mittelalterliche Stadtbild. Die Produktionsstätten der Gewerbe befanden sich vor der Trennung von Arbeits- und Wohnort häufig im Wohnhaus des zünftigen Meisters. Bestimmte Arbeitsschritte wurden nach draußen verlegt, sodass der mittelalterliche Zeitgenosse dem Meister und seinen Gesellen bei der Arbeit zuschauen konnte.
Zunftzeichen
Des Weiteren hatte jede Zunft ihr eigenes Zunftzeichen. Dieses hatte für die Mitglieder der jeweiligen Zunft identitätsstiftende Wirkung und grenzte auch nach außen ab. Zusätzlich zollten die Zünfte mit den ikonografischen Zeichen dem Faktum Rechnung, dass die Alphabetisierungsrate der mittelalterlichen Bevölkerung äußerst niedrig war. Die Gewerbe waren durch außen angebrachte Zunftzeichen gekennzeichnet, sodass auch ein leseunkundiger Mensch zu erkennen vermochte, wo er die diversen Produkte oder Dienstleistungen erwerben konnte. So ließ sich beispielsweise der Bäcker auch von nicht ortskundigen Durchreisenden leicht ausfindig machen, da an seinem Haus eine stilisierte Brezel als Zunftzeichen angebracht war.
Bäuerliche Tätigkeiten in der Stadt
Die Stadt war zwar durch die Konzentration von Handel und Gewerbe gekennzeichnet, in vielen Städten lebten und wirtschafteten jedoch auch zahlreiche sogenannte Ackerbürger. An den Stadträndern, nahe der Befestigungsmauer oder unmittelbar davor bewirtschafteten sie Äcker, hielten Vieh und trugen damit erheblich zur Versorgung der städtischen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln bei. Auch viele Handwerker hielten Kleinvieh wie Hühner und Gänse sowie Schweine und Ziegen, dies allerdings lediglich zur Sicherung des Lebensmittelbedarfs der eigenen Familie.
Markt
Ursprünglich wurden Märkte am Schnittpunkt von Handelsstraßen abgehalten. Mit der Entwicklung der Städte verlagerte sich das Marktgeschehen an einen zentralen Ort innerhalb der Stadt. An festgelegten Tagen boten die Händler dort ihre Waren an. Die Erlaubnis, einen Markt abhalten zu dürfen, war an ein Privileg geknüpft, das der Stadt in einem hoheitlichen Akt verliehen wurde. Der Markt etablierte sich nicht nur als Umschlagsplatz für Waren, sondern auch für Neuigkeiten. So bot er willkommene Abwechslung vom Alltag und erfreute sich als Treffpunkt und Kommunikationsort hoher Beliebtheit. Reisende Händler fanden sich hier ebenso ein wie sesshafte. Letztere siedelten häufig in direkter Nähe zum Markt und nutzten ihre Häuser sowohl zum Wohnen als auch zum Lagern von Produkten. Im Sinne eines ungestörten und sicheren Ablaufs des Handels galt für den Markt eine eigene Rechtsordnung, die unter der Bezeichnung Marktfrieden eingeführt wurde.
Jahrmarkt
Zusätzlich zu den regelmäßig abgehaltenen Märkten gab es die Jahrmärkte. Die Bezeichnung Jahrmarkt leitet sich aus seiner Häufigkeit ab, denn dieser Markt fand in der Regel nur einmal jährlich statt. Er unterschied sich vom mehrmals wöchentlich abgehaltenen Markt durch ein erweitertes Produktangebot und wurde durch günstigere Rechtsbestimmungen gefördert. Beim Abhalten eines Jahrmarktes kam es darauf an, einem besonderen Angebot an Waren ausreichende Nachfrage gegenüberzustellen. So wurde diese Marktform zunächst meistens mit kirchlichen Festen am Ort verbunden, bei denen die rege Beteiligung der Bevölkerung erwartet werden konnte.
Verhältnis von Arbeit und Freizeit
Wie auf dem Lande auch wurde der Tagesablauf der meisten Menschen durch Arbeit bestimmt, die einen großen Teil des Tages in Anspruch nahm. Eine zwölfstündige tägliche Arbeitszeit galt als üblich. Sonntags ruhte die Werktätigkeit, da dieser Tag als Tag des Herrn dem Kirchgang, dem Gebet und der Besinnung auf die Endlichkeit des Lebens geschuldet war. Der Umfang der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit lässt deutlich werden, dass die Freizeitgestaltung für die Mehrheit der Bevölkerung nur eine untergeordnete Rolle spielte.
Freizeitgestaltung und Zerstreuungsmöglichkeiten
Die Arbeitsbelastung in der Stadt und auf dem Land unterschied sich kaum. Andererseits kannte das Mittelalter auch viele Feiertage, an denen die Arbeit aufgrund gesetzlicher Regelungen ruhen musste. In manchen Jahrhunderten überstieg die Zahl der Feiertage sogar erheblich die der heutigen modernen Arbeitswelt. So waren beispielsweise über mehrere Jahrhunderte die beiden Wochen vor Ostern arbeitsfrei. Zusätzlich ruhte die Arbeit an den zahlreichen Tagen, die Heiligen gewidmet waren. Die Freizeit- und Zerstreuungsmöglichkeiten waren in der Stadt jedoch generell deutlich höher als in den dörflichen Siedlungen.
Oster- und Passionsspiele
Die Oster- und Passionsspiele hatten ihren Ursprung zwar im Kontext der kirchlichen Kultur, bildeten im Spätmittelalter jedoch einen festen Bestandteil der städtischen, volkstümlichen Festkultur. Die Aufführungen der Leidens- und Auferstehungsgeschichte Christi wurden nun nicht mehr in der Kirche, sondern im öffentlichen Raum als Schauspiel aufgeführt. Der Aufführungszeitraum betrug mehrere Tage, an denen nicht gearbeitet wurde. Für Frankreich ist belegt, dass die Passionsspiele hier bis zu einem Monat andauerten. Einige Städte wie beispielsweise Reims schenkten in dieser Zeit kostenlos Wein aus und verteilten Gebäck an alle Besucher.
Gasthäuser
Das Gasthaus im eigentlichen Sinne entstand erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Südeuropa, verbreitete sich im 14. Jahrhundert in Mitteleuropa und im 15. Jahrhundert auch in Nordeuropa. Es war ein Haus mit öffentlichem Charakter, das in der Regel durch ein Gasthausschild oder ein ähnliches Zeichen kenntlich gemacht wurde. Der Wirt verfügte über das Recht und – falls der verfügbare Raum ausreichte – auch über die Pflicht, Fremde gegen Entgelt zu beherbergen. Gasthäuser entstanden zuerst in den Städten, in denen der Rat und vor allem die Zünfte die bis dahin vorherrschende Bewirtung und Übernachtung in Privathäusern bekämpften, die sich mit dem Handel und der Wareneinlagerung verband.
Bordelle und Badehäuser
Bordelle etablierten sich insbesondere im Hoch- und Spätmittelalter und zeigten in den Städten eine starke Verbreitung. Obwohl die Dienstleistungen der Prostituierten in chronischem Widerspruch zur herrschenden Moral standen und offizielle Brandmarkung erfuhren, wurden Bordellbesuche toleriert. Begründet wurde diese Differenz zwischen dem theoretisch moralischen Anspruch und der tolerierten Praxis mit dem Nutzen für die körperliche und seelische Gesundheit der Männer als Kunden der Prostituierten. Zugrunde lag diesem Denken, dass die Bürger, denen eine Eheschließung aus unterschiedlichen Gründen versagt blieb, ihren Sexualtrieb auf diese Weise ausleben konnten. Eine ähnliche Funktion hatten die öffentlichen Badehäuser. Hier konnte der Mensch des Mittelalters sich zwar auch der Körperpflege und Entspannung widmen, jedoch dienten diese Einrichtungen nicht zuletzt als Ort der Ausübung sexueller Dienstleistungen.
Feste
Feste erhöhten die Zahl der Ruhetage im Jahresablauf. Sie boten vor allem den weniger begünstigten Gruppen innerhalb der Gesellschaft eine willkommene Form der Kompensation ihrer alltäglichen Belastung. Feste dürfen jedoch nicht allein als Vergnügungsmöglichkeiten angesehen werden, stets waren mit ihnen auch politische Intentionen verknüpft. Jedes Fest, selbst wenn es aristokratischen Ursprungs war, hatte die Aufgabe, die Schaulust eines in seinem sozialen Rang und seiner beruflichen Tätigkeit stark differenzierten Publikums zu befriedigen. Die mittelalterlichen Feste richteten sich in der Regel sowohl an die privilegierte als auch an die einfache Bevölkerung. Im Gegensatz zur Antike, die für Festivitäten abgeschlossene Stätten wie Amphitheater kannte, fanden mittelalterliche Feste auf Straßen, Märkten und kommunalen Plätzen statt. Prozessionen, Lanzenstechen, Triumphzüge, Turniere, Wandertheater und Pferderennen zählten dazu. Der Ort der kirchlichen Feste war die Kirche oder die Kathedrale, in den meisten Fällen aber der für alle Bürger frei zugängliche Kirchenvorplatz. Ein Fest bot die Gelegenheit, eine Vielfalt von Begegnungen herbeizuführen und die politische Einheit einer Gemeinschaft wie etwa die der Bürger einer Stadt, die der Christen oder die der Untertanen eines Königs zu betonen.
Feste als Vermittler von Bildung
Unter kulturellen Gesichtspunkten waren Feste der Ausdruck alter Traditionen und ihres Fortlebens. Neben der Predigt und den kirchlichen Bildwerken zählte das Fest in Ermangelung einer verbreiteten Schrift- und Buchkultur zu den wichtigsten Möglichkeiten, den Menschen religiöse, historische oder literarische Inhalte zu vermitteln. Dank der Feste und ihrer figürlichen Darstellungen (Festkarren, Karnevalsfiguren, hölzerne Statuen, mimisch-theatralische Darbietungen) konnten alle gesellschaftlichen Schichten die Tradition der Vergangenheit bewahren.
Schattenseiten des Stadtlebens
Die Stadt galt als abwechslungsreich und bunt, darüber hinaus war die Stadt jedoch auch durch Schmutz und Gestank gekennzeichnet. So wurde zum Beispiel Müll einschließlich der Inhalte der Nachttöpfe, die als Toiletten dienten, einfach aus den Fenstern auf die Straße gekippt. Da es weder Müll- noch Abwasserentsorgung gab, waren die hygienischen Verhältnisse mehr als mangelhaft. Ungeziefer und Ratten vermehrten sich schnell und trugen erheblich zur Ausbreitung von Krankheiten bei, die häufig epidemieartige Verläufe nahmen wie etwa der Ausbruch der Pest Mitte des 14. Jahrhunderts. Ein zusätzliches Risiko für Leib und Leben waren die Feuersbrünste, von denen manche Städte mehrfach heimgesucht wurden. Sie entstanden durch die Verwendung von Holz als Hauptbaumaterial von Häusern, die zudem sehr dicht gedrängt standen. Brannte ein Haus, so griffen die Flammen schnell auf andere Gebäude über, sodass ein einzelner Brandherd zur Vernichtung ganzer Viertel führen konnte.
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Private oder auch stille Messen hielten die Priester ohne besondere Feierlichkeit ab. Öffentliche Messen dagegen wurden festlich gestaltet und zumeist musikalisch mit Gesang begleitet. |
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