Prostitution im Mittelalter
Der Begriff Prostitution wird erstmals im Jahre 1567 in einem Dokument der Stadt Nürnberg erwähnt und ist somit ein Ausdruck der frühen Neuzeit. Entstanden ist er in Anlehnung an den mittellateinischen Begriff prostibilis, der übersetzt bedeutet, sich jemandem feilzubieten. Auch wenn die Bezeichnungen Prostitution und Prostituierte erst für die Neuzeit dokumentiert sind, so gab es natürlich auch bereits im Mittelalter die käufliche Liebe. Der mittelalterliche Zeitgenosse bezeichnete die Frauen, die Sexualität als Dienstleistung anboten als öffentliche Frauen. Zu ihnen zählten sowohl diejenigen, die sich in den Lupanaren genannten Bordellen aufhielten als auch solche, die sich wahllos zum Zweck des Gelderwerbs Männern zur Verfügung stellten.
Die Haltung der Kirche zur Prostitution
Die Prostitution wurde schon in der Bibel ambivalent gesehen. Analog zur Heiligen Schrift sah etwa Augustinus in Dirnen und auch in ihren Zuhältern ein Bollwerk gegen die verwirrende Kraft der Libido. Thomas von Aquin verglich die Funktion der Prostitution für die Gesellschaft mit einer Kloake, die im Palast für Sauberkeit sorgt. Viele Theologen legitimierten die Prostitution mit der Begründung „ad maiora mala vitanda“. Sie wurde damit als das kleinere Übel aufgefasst. Aus Sicht dieser Kirchenmänner war die Sexualität, die nicht ausgelebt werden konnte, noch bedrohlicher für die Gesellschaft. In diesem Ansatz fanden beispielsweise alle Männer Berücksichtigung, die keine Heiratserlaubnis erhielten.
Angebote der Kirche an Prostituierte
Es gab jedoch auch viele Theologen, die sich für die Abschaffung der Prostitution engagierten und leidenschaftlich für ihr Ziel kämpften. Seitens der Kirche gab es zahlreiche Angebote zur Wiedereingliederung der Prostituierten in andere gesellschaftliche Zusammenhänge. Eine davon war die Erlaubnis der Eheschließung mit ehrbaren Männern. Eine andere Möglichkeit war der Eintritt in einen Orden, in dem sie dann ein gottgefälliges Leben führen sollten. Für beide Strategien gilt, dass sie nur wenig erfolgreich verliefen. Im Zusammenhang mit den Reformbestrebungen der Päpste Gregor VI. und Gregor VII. Ende des 11. Jahrhunderts propagierte die Kirche nicht nur die Ehe als einzig akzeptablen Rahmen für Geschlechtsbeziehungen, sondern nahm auch verstärkt den Kampf für die sexuelle Enthaltsamkeit der Geistlichen wieder auf.
Übergang von der mobilen zur sesshaften Prostitution
In präurbaner und frühstädtischer Zeit wurde die Prostitution von „fahrenden Frauen'“ ausgeübt, die von Dorf zu Dorf beziehungsweise von Stadt zu Stadt zogen. Seit dem 13. Jahrhundert war die sesshafte Prostitution der Regelfall. Im 14. und 15. Jahrhundert wurden in allen europäischen Zentren die sogenannten Frauenhäuser (prostibula, lupanaria) errichtet. Dies war die landläufige Bezeichnung für die Bordelle. Das 15. Jahrhundert kann generell als das Jahrhundert der Bordelle bezeichnet werden, denn zu dieser Zeit gab war ihre Anzahl am höchsten. Die meisten erhalten gebliebenen Frauenhausverordnungen stammen aus dieser Zeit. Für Frankreich und Italien ist zudem nachgewiesen, dass viele öffentliche Badehäuser bordellähnlichen Charakter annahmen.
Lebens- und Arbeitsbedingungen der Prostituierten
Neben diesen Verordnungen, die einzuhalten waren, unterstanden die Frauenhäuser der Oberhoheit des Rates oder des Landesherrn und wurden von einer Frauenwirtin oder ihrem männlichen Pendant geleitet. Der Besuch eines Bordells war nur unverheirateten Männern erlaubt. Verheirateten, Klerikern und Juden war er streng verboten. Im Rahmen der Verordnungen waren die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Frauen in den Bordellen geregelt. Ihnen standen feste Verpflegung und Unterkunft ebenso zu wie Kleidung und Lohn. Außerdem galt Schutz vor einem Arbeitseinsatz bei Menstruation, Schwangerschaft und Krankheit. Die Erlaubnis zum Besuch der Messe wurde ihnen darüber hinaus ebenfalls schriftlich zugesichert. Die Frauen waren außerdem in vielfältiger Weise in das soziale Leben integriert. So nahmen sie beispielsweise an Hochzeiten und anderen Festen teil, sie führten Tänze vor dem Rat oder anderen hochstehenden Gästen auf, sie nahmen an Barchent- und Scharlachrennen teil. Wohl auch wegen ihrer Beteiligung an diesen Rennen gelten Prostituierte als die ersten weiblichen Sportlerinnen, da es ehrbaren Frauen nicht erlaubt war, sich unzüchtig zu bewegen.
Rechte der Prostituierten
Die Rechte der Prostituierten waren in vielfältiger Weise beschränkt. Ungeachtet dessen, dass die chronische Verletzung der religiösen und sittlichen Normen integraler Bestandteil der mittelalterlichen Gesellschaft war, wurde den Prostituierten die Rolle des Sündenbocks zugewiesen. Das Bürgerrecht konnten sie nicht erlangen und waren auch von der freien Wahl eines Freundes oder Ehemannes ausgeschlossen. Des Weiteren wurden sie häufig auch von Banden Heranwachsender überfallen und vergewaltigt. Körperverletzung durch Kunden und Ausbeutung durch Zuhälter und die Wirte und Wirtinnen, die den Frauenhäusern vorstanden, waren keine singulären Phänomene. Durch gezielt herbeigeführte Verschuldung gerieten sie zudem häufig in eine sklavenähnliche Abhängigkeit.
Ausgrenzung der Prostituierten in Randbezirke und Brandmarkung
In den meisten Städten, außer in Florenz, Venedig und Paris, lagen die Frauenhäuser in den Stadtrandlagen. Häufig befanden sich die Häuser in direkter Nachbarschaft zum Haus des Scharfrichters. Durch Bänder, Schuhe und Schleier in der Schandfarbe fahlgelb wurden sie über ihre Kleidung als Huren gekennzeichnet. Auch das Tragen der Farben rot und grün waren Merkmale einer Prostituierten. Reglementiert wurden sie zudem durch städtische Kleider- und Luxusordnungen. Im Volksglauben des Mittelaltes war das Blick- und Berührungstabu tief verwurzelt. In diesem Zusammenhang ist das Verbot zu sehen, dass den Prostituierten – ebenso wie den Aussätzigen – das Berühren von Lebensmitteln untersagte.
Prostitution „gegen die Natur“
Etwa ab dem 15. Jahrhundert richteten sich die Verbotsmaßnahmen zunehmend gegen die sogenannte Prostitution „contra naturam“, die als widernatürlich und besonders verwerflich betrachtet wurde. Vor allem das Anlegen von Männerkleidung und das Tragen kurzer Haare zum Anlocken homosexueller Kundschaft wurde unter Strafe gestellt. Analverkehr galt als Sodomie und wurde mit der Todesstrafe geahndet. Prostitution unter Männern wurde ebenfalls als sündhaftes Verhalten gewertet, auch hier war die Verhängung der Todesstrafe keine Seltenheit.
Sperrbezirksverordnung
Die Prostitution auf den Straßen, in Gasthäusern und im Privatbereich wurde von der Obrigkeit bekämpft. Für das 15. Jahrhundert mehren sich die Zeugnisse für topografische Segregation, die in den Sperrbezirksverordnungen schriftlich fixiert wurde. Auch kam es in dieser Zeit zur gesteigerten sozialen Ausgrenzung der Frauen und zu Attacken gegen Frauenhäuser. Die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten wie der Syphilis und die Verschärfung der Moralvorschriften im Zeitalter der Glaubenskämpfe förderten die Vertreibung der Prostituierten aus den Städten und die Schließung der Bordelle.
Konkubinat
Von der Prostitution zu unterscheiden ist die dauerhafte, nicht eheliche Lebensgemeinschaft, die als Konkubinat (Wikipedia) bezeichnet wurde. Im Unterschied zur Ehe fehlte diesem Verhältnis nach der Rechtsauffassung des Mittelalters die Ehre, die nur durch eine Heirat gewährleistet werden konnte. Kinder aus solchen Verbindungen hatten als unehelich Geborene einen geringeren Status als legitimer Nachwuchs. Im Laufe der Zeit verlor der Makel, mit dem ein Konkubinat behaftet war, jedoch viel an Gewicht. Unter Justinian wurde es als Ehe minderen Rechts anerkannt, was vor allem die gesellschaftliche Stellung der aus einem Konkubinat hervorgegangenen Kinder verbesserte. Die Kirche nahm an der Rechtsform des Konkubinats zunächst keinen Anstoß, solange es sich dabei um eine monogame Beziehung handelte und die Zeugung von Nachwuchs nicht grundsätzlich ausgeschlossen war. Erst im Hochmittelalter setzte mit der Festigung der christlichen Ehedoktrin eine negative Bewertung des Konkubinats ein. Zahlreiche Dekrete kirchlicher Synoden und Konzilien bedrohten das Konkubinat mit Strafe, allerdings ohne großen Erfolg. Kirchliche Strafandrohungen belegen zudem die weite Verbreitung des Konkubinats unter den Klerikern, das sie als sogenanntes Klerikerkonkubinat zumeist mit ihren Haushälterinnen pflegten.
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